Systemisch Konsensieren
Durch systemisches Konsensieren werden Abstimmungen den individuellen Motivationen der Abstimmenden besser gerecht.
Ist es demokratisch, wenn zwei Löwen und eine Antilope abstimmen, was es zum Abendessen geben soll? Häufig gibt es nach Mehrheitsentscheiden lange Gesichter. Nicht selten sind nicht einmal diejenigen mit dem Ergebnis zufrieden, die für den siegreichen Vorschlag gestimmt hatten. Statt einer Abstimmung wünschten sich viele eine einvernehmlichere Lösung. Träumerei? Nein, denn mit systemischem Konsensieren werden Beweggründe intensiver gewürdigt.
Worüber stimmen wir ab?
In einem kleinen Software-Unternehmen spendiert der Chef einem Team mit sechs Personen jedes Jahr ein Team-Event. Die Teammitglieder dürfen sich das Event selbst aussuchen. Im Vorjahr und im Jahr davor war das Team gemeinsam essen. Das war beide Male nett, dieses Jahr dürfte es jedoch auch mal etwas anderes sein.
Die Vorschläge
Zur Abstimmung stehen vier ganz unterschiedliche Events:
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Tagesausflug mit einer historischen Eisenbahn
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Besuch einer Laser-Tag-Arena für einen Abend
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Floßfahrt auf einem nahegelegenen Flüsschen
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Klettern für Anfänger im Klettersteig am Rhein
Die Teammitglieder
Anke ist Verkäuferin im Team, schon sieben Jahre in Unternehmen und sportbegeistert. Sie fährt Mountainbike, Snowboard und ist Paragliderin. Sie ist Ende dreißig und Single, wäre aber auch langsam für ein geordneteres Leben zu haben.
Tom ist Einkäufer und erst ein viertel Jahr im Team. Er arbeitet Teilzeit, 80 Prozent, freitags hat er frei. Er ist alleinerziehender Vater, gerade in einer frischen Beziehung und na sich offen für vieles, wenn es mit seinen privaten Verpflichtungen harmoniert.
Verena ist die Designerin und knapp zwei Jahre im Team. Sie war vorher bei einem sehr renommierten Unternehmen und niemand weiß genau, weshalb sie es verlassen hat. Sie ist frisch in einer Beziehung und achtet sehr auf ihr Äußeres.
Stefan ist so etwas wie der Teamleiter, obwohl es das offiziell nicht gibt, und ist schon über zehn Jahre im Haus. Er stimmt meist die Arbeitsaufträge mit dem Chef ab. Er war starker Raucher und hat, seitdem er das Rauchen aufgegeben hat, deutlich Bauch angesetzt.
Heiner ist verantwortlich für die IT-Infrastruktur und das schon seit vier Jahren. Er ist Single, sportlich, Anfang dreißig und leidet darunter, dass bei seinem Vorgänger offenbar alles besser lief, jedenfalls fühlt er sich stets als der Sündenbock.
Elke die Programmiererin im Team, 42 und schon zweieinhalb Jahre dabei. Mit ihr steht und fällt das Geschäft. Tagsüber kommt sie kaum hinter ihren Bildschirmen hervor, abends hingegen lässt sie es öfters krachen. Von ihrem Privatleben ist nichts bekannt...
1. Abstimmung: Klassischer Mehrheitsentscheid
Jedes Teammitglied hat eine Stimme. Falls nicht einer der Vorschläge eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereint, kommt es zu einer Stichwahl zwischen den beiden Vorschlägen mit der höchsten Zahl an Stimmen. Das Team hofft, dass es in der Stichwahl nicht zu einer Pattsituation kommt.
Für Anke ist das gemeinsame Essengehen wirklich der kleinste gemeinsame Nenner, die Eisenbahnfahrt aber keine echte Alternative. Und die Sauferei beim Floßfahren? No! Laser-Tag-Arena wäre auch ok, aber ihre Idee war ja der Klettersteig.
Tom will auf keinen Fall abends noch einen Babysitter engagieren. Kriegsspiel wie Laser-Tag findet er furchtbar. Er hofft auf einen netten Austausch mit den neuen Kollegen. Das ginge am ehesten mit der historischen Eisenbahn.
Für Verena ist das alles sowieso nicht so wichtig. Von Freunden hat sie gehört, dass Laser-Tag ganz witzig sei. Das andere ist ihr zu wenig stylish, deshalb wählt sie die Laser-Tag-Arena.
Stefan hat überhaupt keinen Bock, sich bei einer körperlichen Anstrengung zu blamieren und versucht alles, um den Klettersteig zu verhindern. Er wählt die Floßfahrt.
Heiner steckt in der Klemme. Stefan hat ihm zu verstehen gegeben, dass sportliche Betätigung Pfui ist. Er selbst hätte das Klettern ganz gut gefunden, kann sich jedoch auch auf Laser-Tag einlassen.
Elke hat sich lange aus allem rausgehalten. Jetzt steht Stefan mit dem Wahlzettel vor ihr, sie soll sich entscheiden - jetzt! Oje, ist das alles spießig, sie wählt Laser-Tag.
Die Entscheidung fällt mit drei Stimmen zugunsten der Laser-Tag-Arena. Wie kann das sein? Keines der Teammitglieder verspürte den ausgesprochenend Wunsch nach Laser-Tag. Dennoch hat der reine Mehrheitsentscheid dieses Event nach vorne gebracht. In der folgenden gemeinsamen Mittagspause stellt das Team fest, dass keiner wirklich Fan von Laser-Tag ist. Anke schlägt vor, noch einmal neu abzustimmen, und zwar nach der Methode Systemisch Konsensieren.
2. Abstimmung: Systemisch Konsensieren
Jedes Teammitglied bewertet jeden Vorschlag. Dabei geht es nicht um die Zustimmung, sondern um den Widerstand gegen einen Vorschlag. Der Autor hat eine Skala von 1-5 als besonders geeignet kennengelernt. 1 bedeutet kein Widerstand, 5 maximaler Widerstand oder Veto. Der Vorschlag mit der geringsten Anzahl an Widerstandspunkten gewinnt. Das Team verabredet, dass eine 5 als Veto gewertet wird und verspricht sich gegenseitig, verantwortungsvoll damit umzugehen. Wenn kein Vorschlag besser als 3 abschneidet, will das Team wieder gemeinsam essen gehen.
Die Bewertung der Teammitglieder sieht nun so aus:
Am besten schneidet der Klettersteig ab. Doch da das Team eine Veto-Regel vereinbart hatte, scheidet dieses Event aus. Stefan muss sich auch nicht erklären, seine Kollegen kenne ihn ja. Die Laser-Tag-Arena erhält viermal die Zwei als Wertung, jedoch auch zweimal die Vier und landet auf Platz 3. Die Floßfahrt hat einen wahren Fan, die anderen können sich weniger dafür begeistern: Platz 4. Sieger ist die Fahrt mit der historischen Eisenbahn, das Event mit dem geringsten Widerstand. Vier von sechs Teammitglieder geben mit einer Drei zwar zu Protokoll, dass es sie nicht gerade vom Hocker reißt, aber es sind alle dabei und es ist auch keiner wirklich dagegen. Vielleicht lässt sich die Fahrt noch mit etwas Aufregendem garnieren, damit alle auf ihre Kosten kommen.
Systemisches Konsensieren ist überall dort gut einsetzbar, wo der Wert der Abstimmung für die Gemeinschaft eine Rolle spielt und der Wunsch nach einem gerechten Ergebnis nicht nur auf dem Papier steht.